"Grüner Wasserstoff wird eine große Rolle spielen" / Sven Jösting im Experten-Interview

Erstellt von Anja Barlen-Herbig | |  MobilitätStandortmarketingStandortentwicklungInterview

„Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom in dessen Bestandteile aufgeteilt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern“, prophezeite Jules Verne im 19. Jahrhundert. Blickt man heute auf die weltweite Klimadiskussion könnte die Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie tatsächlich die Lösung für eine nachhaltige Zukunft sein. Sven Jösting, seit vielen Jahren aktives Mitglied der „Wasserstoff-Gesellschaft Hamburg“, zeigt im Interview auf, warum „grüner“ Wasserstoff fossile Energieträger wie Kohle, Gas und Öl in Zukunft ersetzen wird.

Wir haben schon einmal vor vierJahren in der chinesischen Provinz Guangdong ein Interview geführt – schon damals prophezeiten Sie, dass Wasserstoff und Brennstoffzelle-Technologie auf dem Vormarsch sind. Sie trafen sich damals auch mit Hu Chunhua, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Volksrepublik China und gaben die Empfehlung, Wasserstofftechnologie entlang der Seidenstraße einzusetzen. Seit Jahrzehnten setzen Sie sich für den Einsatz dieser Technologie ein. Jetzt ist das Thema Brennstoffzelle und Wasserstoff in aller Munde. Deutschland hat gerade einen neuen Plan vorgestellt, die EU will massiv auf die Technologie setzen. Ist Ihre Zeit nun endlich gekommen?

Jösting: „Grüner“ Wasserstoff – gewonnen via Strom aus regenerativen Energiequellen wie Wind- und Solarenergie und Wasserkraft – wird perspektivisch eine sehr große Rolle spielen. Es geht um vielfältige Einsatzmöglichkeiten –  von der Mobilität (Autos, LKW, Schienenfahrzeuge, Fahrräder, Motorräder) bis zu stationären Brennstoffzellensystemen. Via BZ-Kraftwerken kann Strom und Wärme aber auch Prozesskälte generiert werden, dies mit Wirkungsgraden von gar über 80 Prozent. Via Power-to-Gas-Systemen kann grüner Wasserstoff mit CO2 (aus z.B. Kohlekraftwerken/Industrieanlagen) verbunden und daraus Methan generiert werden. So lässt sich hoch-effektiv Strom und Wärme produzieren. Vor allem: umweltfreundlich, da der Abfall nur Wasserdampf ist. So werden schädliche Emissionen in saubere Energie umgewandelt – ein effektives Vorgehen gegen starke Luftverschmutzung, das auch manches Kohlekraftwerk überflüssig macht.
 
Ist Wasser also die Kohle der Zukunft? Der französische Autor Jules Verne schrieb dies schon 1870...

Jösting: Klares JA. Denn die Art und Weise wie grüner Wasserstoff generiert werden kann, wird aufgrund immer besserer Elektrolyseur-Technologie im großtechnischen Einsatz effizienter, kostengünstiger und auch sicherer sein. Jules Verne wird Recht bekommen. Rein theoretisch gedacht: Wäre es nicht geradezu ideal, wenn in Deutschland flächendeckend in bestimmten Abständen Wasserstofftankstellen  – gespeist mit H2 aus der jeweiligen Umgebung – und Stromladestationen einrichten würde. BZ-Busse könnten hier ebenso tanken wie Autos, LKW, Motorräder und sogar Fahrräder aber auch – unter Umständen abhängig von der Lage – Schienenfahrzeuge.. 

Deutschland wird Wasserstoffland, postuliert das Bundesministerium für Verkehr und Energie; inzwischen erhalten 25 Regionen Unterstützung für H2-Projekte - wie weit kommt denn so ein Wasserstoff-Auto?

Jösting: Während Elektroautos derzeit bis zu 500 Kilometer Reichweite haben, sind mit Wasserstoff 600 bis 700 Kilometer möglich. Wasserstoff ist ein Reichweitenverstärker für E-Autos. Das erklärt, weshalb man vor allem den Schwerlastverkehr mit Wasserstoff betreiben will. Batterien für Elektro-Lkw sind riesig und schwer, kosten Platz. Ein Wasserstofftank und eine Brennstoffzelle sind deutlich leichter. Nikola Motors ist hier ein gutes Beispiel, was da im Markt passieren wird: 100 KG H2 für über 1.000 Km Reichweite. Es gibt auch Firmen, die an Wasserstoff-Verbrennungsmotoren für Lkw forschen.

Die Tankstellensituation ist viel diskutiertes Thema. Das Invest ist hoch, denn eine Wasserstofftankstelle kostet je nach Anzahl der Zapfsäulen einen siebenstelligen Betrag. Scheitert das Wasserstoff-Auto derzeit nicht auch daran, dass Wasserstoff-Tankstellen fehlen?

Jösting: Das ist das bekannte Henne-Ein-Problem. In Deutschland wird es bis Jahresende 100 H2-Tankstellen geben und bis 2023 sind 400 geplant. Das kann auch schneller gehen, wenn man es denn wollte. Gerade kommt die Nachricht, dass die südkoreanische SK Group 1.200 von 3200 Tankstellen bis 2040 mit einer H2-Tanksäule ergänzen wird und dort 6,2 Mio wasserstoffbetreibene KFZ bis zum Jahr 2040 progostiziert werden.China gibt da auch Gas. Wir bräuchten hier 1.000 H2-Tankstellen für die geographische Abdeckung. Und Eropa gibt über den Klimapakt auch Gas. Das kommt alles, vielleicht sogar schneller als man vermutet. Kostete eine H2-Tankstelle vor wenigen Jahren noch über 2 Mio Euro, so sind wir heute bei unter 1 Mio Euro. Und bei den normalen Skalierungseffekten wird es zwangsläufig günstiger.

E-Batterie oder Wasserstoff? Was ist der entscheidende Vorteil der Brennstoffzelle gegenüber des E-Antriebs?

Jösting: Beides sollte nicht als Gegensatz, sondern als Egänzung empfunden werden. Es hängt davon ab, wie ein Fahrzeug genutzt wird, der Radius. Für die Kurzstrecke ist die Batterie im Vorteil, bei der Langstrecke der Wasserstoff via Brennstoffzelle. Beides ist Elektrombilität, wird der Motor durch Strom angetrieben – nur aus unterschiedlichen Quellen. Wasserstoff lässt sich in wenigen Minuten tanken, was dem normalen Tankvorgang mit Benzin entspricht. Ich bin da technologieoffen. 
Und dann gibt es ja Hybrid-Fahrzeuge, die eine kleine Batterie an Bord haben – für 50 bis 100 Kilometer Radius – und dann die Brennstoffzelle nebst Tank für 3 – 5 KG Wasserstoff. 1 KG H2 reicht (Mirai von Toyota) für 100 Km.

... und die Gefahr, die von Wasserstoff ausgeht? Ist die Explosionsgefahr heute kein Thema mehr?

Jösting: Das ist wirklich kein Thema mehr. Da sind imaginäre Ängste am Werke. Der für Wasserstoffsicherheit initiierte Weltkongress HySafe hat da klare Ergebnisse gebracht. Siehe auch www.hysafe.org. Bei einem KFZ wie dem Nexo von Hyundai entweicht der Wasserstoff bei einem Unfall in wenigen Sekunden kontrolliert, verbindet sich mit Sauerstoff zu Wasserdampf. Bei H2-Tankstellen sind antizipativ denkende Ventile am Werke, die bei einer Leckage sofort reagieren. Da kann es eine Stichflamme geben, die 3 Meter in die Höhe reicht. Ansonsten kann eine circa 30 Meter Druckwelle – im schlechtesten Fall – entstehen. Das war in Schweden der Fall, wo ein KFZ in der Distanz dieser 30 Meter fuhr und sich die Airbags öffneten. Eine Schutzwand muss her. Das war es dann aber auch schon. Denken Sie umgekehrt, was alles passieren muss, wenn sich eine Lithium-Ionen-Batterie entzündet. Alles hat zwei Seiten. 

Wir beobachten eine global verstärkte Dynamik im Bereich der Brennstoffzelle, im Wesentlichen getrieben von China, das zu Südkorea und Japan in dieser Technologie aufschließen will. Laufen wir nicht Gefahr, in fünf Jahren bei der Brennstoffzelle genau da zu stehen, wo wir uns heute mit der Batterie befinden? Dann laufen wir in Bezug auf die wesentlichen Komponenten den Asiaten hinterher.

Jösting: Da sehe ich vor allem die Autoindustrie gefordert. Daimler ist dabei, VW scheint das Thema zu verschlafen. Der Vorstandsvorsitzende von VW hält nichts von der Brennstoffzelle, während sein Kollege bei BOSCH dies genau anders sieht. Es wird aber erst einmal für LKW, Busse, Schwerlastverkehr, Schienenfahrzeugen Sinn machen, die Brennstoffzelle dort zum Einsatz zu führen. Der ehemalige chinesische Minister für Wissenschaft und Technologie, Dr. Wan Gang, hat als Ingenieur bei AUDI gearbeitet und sieht die Brennstoffzelle als eine ganz wichtige Lösung in Themenbereichen wie Energie und Mobilität. Er hat dies vor Jahren in Berlin anlässlich des „H2-Mobility-Kongress“ ausgeführt wie auch in einem Interview mit Bloomberg in 2019.  Firmen wie Siemens sind Front Runner der Technologie für die Umwandlung von Wasser mittels Elektrolyseuren. Aber auch der Anlagenbau ist technologisch weit vorne. LINDE ist Vorreiter für H2-Tankstellen! Japan will gar “Hydrogen Society“ werden, Südkorea gibt Gas und China hat grundlegende Pläne auf den Tisch gelegt, die Brennstoffzelle in LKW und Bussen wie auch der dazugehörigen Infrastruktur, H2-Tankstellen, massiv zu fördern. Wir sollten da auch viel mehr Gas geben, denn technologisch ist Deutschland da klar – noch – in Führung. Daimler und Volvo Group werden via der chinesischen Geely (Großaktionär + Autokonzern) getrieben, die der Brennstoffzelle in LKW zum Durchbruch zu verhelfen. Aber klar, wir diskutieren da zu viel und es wird nicht eben technologieoffen diskutiert. Jede Partei hat da eine eigene Agenda. Ich empfehle den „runden Tisch“. Der Weg ist das Ziel, als immer dies „Aber“. 

Wo sehen Sie Einsatzmöglichkeiten in der Industrie?

Jösting: Da gibt es jede Menge Einsatzmöglichkeiten. Aktuell finden Sie viele Berichte über „grünen Stahl“, der mittels grünem Wasserstoff produziert werden kann. Das ist natürlich heute noch zu teuer aber Skalierungseffekte in der Erzeugung von Wasserstoff lassen grüßen. In ein paar Jahren kann dieser gar für 1 bis 2 US-$ pro KG erzeugt werden, so aktuelle Studien. Brennstoffzellenkraftwerke sorgen für effizient nutzbaren Strom u.a. aus Wasserstoff, der via Biogas erzeugt werden kann. Da gibt es auch Carbon-Capture-Technologien, wo Co2-Emissionen methanisiert und dann in Energie gewandelt werden können. eFuels aus Wasserstoff gewonnen sind ein Thema, u.a. für die Luftfahrtindustrie aber auch langfrsitig bei Schiffen. Nehmen Sie Schienenfahrzeuge, die heute schon mit Wasserstoff betrieben werden – auch hier in Deutschland. Grüner Wasserstoff in der Chemieindustrie. Der aus Erdgas gewonnene graue Wasserstoff ist zwar noch wesentlich günstiger als grüner oder – (Übergang) blauer Wasserstoff (via Reformierung von Erdgas), aber das wird sich durch großtechnischen Einsatz der Elektrolyse perspektivisch ändern. 

Kritiker sagen aber, dass die Wasserstoff-Technologie nicht effizient ist. Schließlich geht bei der Elektrolyse und später bei der Rückwandlung von Wasserstoff in Strom in der Brennstoffzelle viel Energie verloren. Am Ende blieben von der ursprünglich eingesetzten Elektrizität vielleicht nur 20 bis 25 Prozent übrig …

Jösting: Da sind die Pauschalargumente „Keule“ der Wasserstoffgegner. Man redet gerne über Wirkungsgrade im Vergleich, nur muss man die komplette Wirkungskette und Co2-Bilanz da sehen. Bei einer Batterie kostet der Abbau der Rohstoffe auch Energie und führt zu Co2-Emisisonen. Bei der Entsorgung das Gleiche. Woher kommt der Strom aus der Ladesäule ? Es geht bei Wasserstoff auch darum, überschüssigen regenerativen Strom überhaupt speicherbar zu machen, was kapazitätsmäßig mit Batterien nicht geht. Wenn ich von Speicherung spreche, dann eignen sich Gasleitungen hervorragend, Wasserstoff beizumischen oder still gelegte Gaspipelines nutzt, die man modernisieren kann. Wir haben da gesamt allein in Deutschland über 500.000 km. Wasserstoff (grüner). Nm90 % der Kosten für grünen Wasserstoff sind die Stromkosten und wenn ich die Sonne, den Wind und Wasserkraft extrem günstig zum Einsatz führen kann, dann ist die Bilanz des H2 erstklassig. Und klar: man wird auch grünen Wasserstoff zum Beispiel aus afrikanischen Ländern oder Norwegen importieren müssen, da wir hierfür die erforderlichen Mengen gar nicht haben. Der Weg ist das Ziel. Und all die Nebeneffekte des Themenkomplexes Wasserstoff und der Brennstoffzelle: neue Jobs, neue Produkte für die Weltmärkte und gut gegen den Klimawandel gepaart mit vielen neuen Jobs und Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen. Was will man mehr ? Greta würde sich freuen. 

Wie ist Ihre Vision der Zukunft für Deutschland? 

Jösting: Wir haben einen starken Mittelstand. Viele mir gut bekannte Unternehmen planen, massiv in Wasserstoffthemen zu investieren, wie auch unsere Energiewirtschaft und die Kommunen. Da entsteht ein neuer Megatrend. Wir sind hier sehr stark in allen Bereichen des UmweltTech. Die Politik denkt mir oft zu klein-karriert und polarisiert mit VorUrteilen. Hier wäre gemeinsames Handeln im Sinne unseres schönen Landes zielführender. Bürokratie müsste massiv verringert werden, was man am Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) sieht, für mich ein Planwirtschaftsmonster, welches Strom künstlich verteuert, aber nicht visionäre Möglichkeiten aufzeigt. Der Handel mit Co2-Zertifikaten sollte im großen Stil erfolgen und damit das EEG beenden. Wir stehen insgesamt – trotz Corona – sehr gut da in der Welt und ich hoffe und setze darauf, dass das auch so bleibt. Aber die Anderen schlafen nicht – wenn man an Wasserstoff und die Brennstoffzelle denken mag. 

Weitere Informationen zur Wasserstoff- und Brennzellen-Technologie unter www.h2hamburg.de.
Und wer sich fachlich informieren möchte - HZwei-Magazin www.hzwei.info  

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